Ein Zurück zum Normal?

Viele Brennpunkte unserer Gesellschaft geraten aus dem Fokus. Und doch passieren viele Initiativen, die wegweisend sein können für eine neues «Normal».

Landwirtschaftsnotstand 

Wie ein dichter Nebel überdeckte die Coronakrise in der öffentlichen Debatte viele unserer Forderungen und Engagements. Grundlegende Fragen unserer Gesellschaft wurden auf Eis gelegt, so auch die Problematik der Herstellung unserer Lebensmittel.

Heute wird diese von der Agrarindustrie dominiert und von einer Landwirtschaftspolitik gefördert, die Grossbetriebe und somit Monokulturen sowie Massentierhaltung in immer grösseren Einheiten begünstigt. Während vor nicht allzu ferner Vergangenheit die Landwirtschaft natürliche Ressourcen noch erschloss, Ökokreisläufe schuf und zur Artenvielfalt beitrug, zerstört das heute praktizierte agroindustrielle Modell lebenswichtige Ressourcen, verschmutzt Böden, Luft sowie Wasser und verbraucht dabei fast fünfmal mehr Kalorien als es produziert.  weiterlesen ...


Eine Zukunft für kleinbäuerliche Landwirtschaft

Als einziges Land verwarf die Schweiz im Menschenrechtsrat der UNO, der im März in Genf tagte, die Idee einer internationalen Deklaration zum Schutz der Bäuerinnen und Bauern.

Mit Swissaid, Brot für Alle, Fastenopfer, FIAN Schweiz, dem CETIM und der Bauerngewerkschaft Uniterre haben wir dagegen protestiert und unseren Freundeskreis aufgefordert, einen Protestbrief an die Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf zu schicken. Bäuerinnen und Bauern sind die ersten Opfer der «Globalisierung». 70% der an Hunger leidenden Menschen in der Welt, leben im ländlichen Raum. Sie werden oft unter Verletzung der Menschenrechte durch multinationale Konzerne, Investoren oder Regierungen ihrer lebenswichtigen Ressourcen wie Boden, Wasser oder Saatgut beraubt. Die weiterhin massive Landvertreibung wird mit ökonomischen, polizeilichen oder militärischen Mitteln durchgesetzt. Vom UNO-Menschenrechtsrat beauftragte Experten betrachten es als unerlässlich, dass ein neues völkerrechtliches Instrument geschaffen wird, um Bäuerinnen und Bauern besser schützen zu können.

Unser Aufruf, Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf Protestbriefe gegen die unverständliche Haltung der Schweiz im Menschenrechtsrat zu schreiben, fand ein breites Echo. Mehr als 1.000 Menschen schrieben ihr persönlich. Gleichzeitig fanden Vorstösse von Abgeordneten im Nationalrat statt und die Kantonsparlamente von Genf, Fribourg, Neuenburg, Waadt und Jura überwiesen Resolutionen an den Bund.

 

Auch unser Hoffest Ende Juni auf dem Montois in Undervelier stand unter dem Zeichen dieser Kampagne. Valentina Hemmeler Maïga, Gewerkschaftssekretärin von der Bauerngewerkschaft Uniterre und Melik Oezen, Vize-Direktor des Centre Europe Tiers-Monde (CETIM), informierten ausführlich über die Notwendigkeit einer UNO-Deklaration zum Schutz der Bäuerinnen und Bauern.

Dank der Protestaktionen hat sich die offizielle Haltung der Schweiz gewandelt. Im letzten Antwortbrief an «Uniterre» und «Brot für Alle» schreibt die Bundespräsidentin:

 

…«Falls im Menschenrechtsrat Verhandlungen stattfinden sollten, um gemäss den Empfehlungen des Ausschusses ein Sonderverfahren oder ein neues Instrument zu den Rechten der Bäuerinnen und Bauern zu schaffen, würde die Schweiz sich aktiv daran beteiligen, da sie dieses Thema für wichtig erachtet».…

 

Ein Erfolg, für den wir uns bei all unseren Mitstreitern und Mistreiterinnen ganz herzlich bedanken möchten. Ob diesem Gesinnungswandel auch Taten folgen, wird sich an der Sitzung des UNO- Menschenrechtsrates Mitte September zeigen. Dann sind weitere Beratungen über die Schaffung einer internationalen Deklaration zum Schutz der Rechte der Bäuerinnen und Bauern vorgesehen.

 

In der Schweiz redet man nicht von Landflucht, obwohl jeden Tag vier oder fünf Bauernhöfe verschwinden: Rationalisierung, Strukturbereinigung oder Effizienzsteigerung sind die Unwörter, die stattdessen gebraucht werden. Auch hier müsste die kleinräumige Landwirtschaft besser geschützt werden. Die Agrarpolitik, die zurzeit im Parlament diskutiert wird, zielt weiterhin darauf ab, die Zahl der Bauern zu verringern und grossflächige Betriebe zu bevorzugen. Im Weltagrarbericht (400 Wissenschaftler fassten 2008 im Auftrag von UNO und Weltbank den Stand des Wissens über die globale Landwirtschaft, ihre Geschichte und Zukunft zusammen) wird gerade das Gegenteil empfohlen: «Die besten Garanten für die lokale Ernährungssicherheit sowie die nationale und regionale Ernährungssouveränität sind kleinbäuerliche Strukturen. Ihre Multifunktionalität mit ihren ökologischen und sozialen Leistungen müssen anerkannt und gezielt gefördert werden».

 

Die Strategen der schweizerischen sowie der europäischen Argrarpolitik wollen offenbar diese wichtigen Erkenntnisse nicht umsetzen. Ihre Haltung folgt in erster Linie den Interessen der multinationalen Konzerne, die den Markt für Düngemittel, Pestizide und Saatgut beherrschen und monopolisieren.

 

Der Europäische Gerichtshof stellte sich Anfang Juli auf die Seite der grossen Saatgutkonzerne. In einem Urteil über die Zulässigkeit der europäischen Saatgutgesetze, das von einem französischen Gericht in der Auseinandersetzung zwischen dem Verein Kokopelli und dem Saatgutkonzern Baumaux angefordert wurde, rechtfertigte der Gerichtshof das Handelsverbot alter Saatgutsorten mit dem als höher eingestuften Ziel «der Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität». Diese Richter scheinen den Weltagrarbericht nicht gelesen zu haben (mehr dazu auf www.saatgutkampagne.org). Ihr Urteil hat nicht nur für den Verein Kokopelli, der sich für die Bewahrung des Saatguterbes - unser aller Gemeingut - einsetzt, schwerwiegende Konsequenzen. Mit internationalen Handelsabkommen zwingt die Europäische Union zahlreiche Staaten, die noch mehrheitlich mit bäuerlichem Saatgut arbeiten, wie bspw. die Türkei oder Indien, die europäische Saatgutgesetzgebung zu übernehmen und damit dem Raubrittertum der Saatgutkonzerne ausgeliefert zu werden.

 

Eine UNO-Deklaration zum Schutze der Bauern und Bäuerinnen jedoch könnte die schlimmsten Übergriffe verhindern.