Landwirtschaftsnotstand
Wie ein dichter Nebel überdeckte die Coronakrise in der öffentlichen Debatte viele unserer Forderungen und Engagements. Grundlegende Fragen unserer Gesellschaft wurden auf Eis gelegt, so auch die Problematik der Herstellung unserer Lebensmittel. Heute wird diese von der Agrarindustrie dominiert und von einer Landwirtschaftspolitik gefördert, die Grossbetriebe und somit Monokulturen sowie Massentierhaltung in immer grösseren Einheiten begünstigt. Während vor nicht allzu ferner Vergangenheit die Landwirtschaft natürliche Ressourcen noch erschloss, Ökokreisläufe schuf und zur Artenvielfalt beitrug, zerstört das heute praktizierte agroindustrielle Modell lebenswichtige Ressourcen, verschmutzt Böden, Luft sowie Wasser und verbraucht dabei fast fünfmal mehr Kalorien als es produziert. Die bei dieser Produktionsweise eingesetzten Pestizide und Antibiotika gefährden nicht nur die Gesundheit von Bäuer_innen sowie Landarbeiter_innen - sondern auch die der Konsumierenden von kontaminierten Lebensmitteln. Gesundheitskrisen rund um Nahrungsmittel wiederholen sich Jahr für Jahr: Erinnert sei nur an Rinderwahnsinn, Vogelgrippe, den Skandal mit Fipronil verseuchten Eiern; ganz zu schweigen von den möglichen, noch wenig erforschten Auswirkungen der Pestizidcocktails, die wir mit Obst und Gemüse täglich zu uns nehmen. Ausserdem trägt das heutige Nahrungsmittelsystem global zu fast 50 % der Treibhausgasemissionen bei. Ob zudem die Entstehung des Coronavirus auch auf die direkten oder indirekten Folgen der Überhandnahme industrieller Landwirtschaft zurückzuführen ist, wird bestimmt nie mit Sicherheit festgestellt werden können. Fakt ist jedoch, dass die bei dieser Produktionsmethode eingesetzten Pestizide und Antibiotika, Ursache für die meisten Lebensmittelskandale sind.
Beispiel eines Produktionsortes agroindustrieller Landwirtschaft für ganz Europa: Plastikmeer in Almeria, Andalusien
Abstimmen für die Zukunft
Die Schweiz ist eines der Länder mit dem höchsten Pestizideinsatz pro Quadratmeter landwirtschaftlicher Nutzfläche. Es ist daher nicht verwunderlich, dass in immer mehr Gemeinden Spuren von Pestiziden über der zulässigen Norm im Trinkwasser gefunden werden. Nun können Schweizer Bürger_innen im kommenden Juni über zwei Volksinitiativen abstimmen: «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» sowie «Für sauberes Trinkwasser
und gesunde Nahrung – Keine Subventionen für den Pestizid- und den prophylaktischen Antibiotika-Einsatz». Der Erfolg auch nur einer dieser beiden Initiativen würde wichtige Veränderungen in der Schweizer Agrarpolitik bewirken, dieangesichts der Umweltzerstörung, des Verlustes der Artenvielfalt und Vergiftung der natürlichen Ressourcen mehr als notwendig sind!
Zugegeben, beide Initiativen mögen durch ihre Radikalität schockieren und einige ihrer Aspekte sind in kurzer Zeit nur schwer umsetzbar. Jedoch erleben wir schon heute die schwerwiegenden Folgen der Priorisierung kurzlebiger Marktkriterien in der schweizerischen und europäischen Agrarpolitik. Sie geht zu Lasten der natürlichen Ressourcen und Ökosysteme unseres Planeten sowie Gesundheit der Bevölkerung. Worauf warten wir also noch, um zu handeln und die Priorität wieder auf humanere Produktionsmethoden zu legen, die gute Lebensmittel für uns und auch für zukünftige Generationen garantieren? Eine breite Unterstützung der beiden Volksinitiativen wäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Wir sollten endlich begreifen, dass der Landwirtschaftsnotstand Teil des Klimanotstands ist!